Logo als Animation

 
 
 
WILLKOMMEN
auf thilomausser.de

[ Post vom 23. April 2022 – 20.51 Uhr ]

RUBRIK
CHRISTUSPRAXISJesus bottom upwards – XP-Glaube als Lebenspraxis

In der Bergpredigt weist Jesus einen Weg der Lebenspraxis, in dem Ethik und Spiritualität in einander verwoben sind. In diesem Artikel möchte ich meine Idee dazu erklären, wie wir auf diesem Weg neu entdecken können, was Christus-Glaube heute alles bedeuten kann.

Jesus bottom upwardsChristus-Glaube ganz grundsätzlich als Lebenspraxis

Mehr als nur nett

Manchmal wird Jesus von unserer säkularen westlichen Kultur als derjenige dargestellt, der den Leuten beibringen wollte, nett zueinander zu sein. Diese Beschreibung beinhaltet gleichzeitig Zustimmung und eine gehörige Portion Spott. Die Zustimmung besteht darin, dass es selbstverständlich gut ist, wenn wir nett zu einander sind, der Spott darin, dass Jesu Anliegen eben auch nicht mehr als das zu sein scheint, nett, freundlich und höflich hilfsbereit mit einander umzugehen.

Schaut man genauer hin – durchaus auch historisch –, entdeckt man, dass Nettigkeit eine grobe Verharmlosung in Bezug auf das ist, was Jesus wollte. Jesus hatte eine radikale Vision von »Recht und Gerechtigkeit«11  Das ist auch eine geprägte Formulierung der Hebräischen Bibel; auf Hebräisch heißt Recht ›mischpat‹ und Gerechtigkeit ›zedakah‹. ausblenden über nationale, ethnische und religiöse Grenzen hinweg, die er als etwas betrachtete, was sich gerade im Entstehen befand (»Königtum Gottes« war sein zentrales Thema). Jesus machte sich vorbehaltlos in diese Richtung auf den Weg, indem er den Menschen, die mit ihm waren, eine entsprechende Ethik vermittelte und aufforderte, seinem Weg zu folgen. Es war eine Ethik, die von Spiritualität und Gottvertrauen durchtränkt war und – von der anderen Seite betrachtet – eine Gebetspraxis zeigte, die selbst wieder vom Leben mit dieser universellen Ethik durchdrungen war.

Nimm man die christlichen Bekenntnisse in den Blick, ist dort davon die Rede, was geglaubt wird, aber nicht was deshalb getan wird. Liest man dagegen die Evangelien im Neuen Testament, ist die Verbindung von Ethik, Hoffnung auf das Eingreifen Gottes und gelebter Gottesbeziehung nicht zu übersehen.

Den einfachsten Weg, beides wieder zusammenzubringen, sehe ich nicht zuerst in einer neuen (gegebenenfalls umfassenderen) Theorie oder Dogmatik, sondern im Ergreifen der Praxis selbst, und damit meine ich eine konkrete Lebenspraxis nach dem Vorbild und der Lehre Jesu.

Die Messias-Halacha

Jesus selbst war Jude und das Judentum seine Identität. Seine Sicht speiste sich aus dieser Quelle. Er folgte dem Propheten der Hebräischen Bibel darin, zu verkündigen, was Gott wirklich möchte – jetzt, konkret, in dieser Zeit. Jesus schloss sich den Propheten Hosea, Amos und Micha darin an, Barmherzigkeit und Verlässlichkeit gegenüber der Gemeinschaft22  … von der man selbst immer ein Teil ist – Barmherzigkeit und Loyalität der Gemeinschaft gegenüber sind beide Ausdruck einer lebensnahen und konkreten Ethik! ausblenden als das zu verkündigen, was Gott wirklich von uns Menschen erwartet, jedenfalls weit mehr als religiös-kultisch korrekt und stimmungsvoll durchgeführte Tieropfer. Barmherzigkeit war der eine Schlüssel, mit dem er den Sinn der Thoraaa  Mit Thora sind konkret die 5 Bücher Mose gemeint; das hebräische Wort ›thorah‹ bedeutet eigentlich ›Weisung‹ und nicht ›Gesetz‹. Dennoch ist der Sprachgebrauch im Neuen Testament so, weil es auf Griechisch wiederum als ›nómos‹ (Gesetz eben) wiedergegeben wird. Auch wenn man im Neuen Testament ›Gesetz‹ liest, sollte man immer auch ›Weisung‹ hören. Wenn man dagegen in einem alttestamentlichen Text die Übersetzung ›Weisung‹ findet, kann man davon ausgehen, dass dort im hebräischen Original von ›thorah‹ die Rede ist. ausblenden aufschloss, Universalität der andere. Denn seine Ethik gilt über ethnische, kulturelle und religiöse Grenzen hinweg33  … und möchte damit eben auch emotionale Grenzen überwinden. ausblenden. So reicht es laut Jesus eben es nicht, die von Gott gegebenen Gebote als ein Regelwerk formal einzuhalten. Vielmehr muss man anhand dieser Gebote eigenverantwortlich erkennen, was Gott tatsächlich möchte und sein Leben nach dem ausrichten, was man daraus als dem Willen Gottes erkannt hat. Diese Art Eigenverantwortlichkeit der »Weisung« Gottes (= Thora) gegenüber findet sich auch in Psalm 1 (besonders Verse 1 bis 3). Dort geht es darum, aus dem eigenständigen Lesen der Thora sowohl zur Erkenntnis des Willen Gottes zu kommen und darin in eine lebendige Beziehung zu Gott zu treten.

Dies alles zusammen (der von den Propheten angesagte Vorrang der Barmherzigkeit und das betende Selbststudium des Willen Gottes) mündet in die vertrauensvolle Gottesbeziehung, die Jesus nicht nur lehrte, sondern durch und durch verkörperte, indem er sie in seiner Person hat Wirklichkeit werden lassen – bedingungslos und ohne Einschränkungen.

Jesus drückte es deshalb selbst so aus, dass er nicht gekommen sei, um die Gebote der Thora aufzulösen, sondern um sie zu erfüllen. Und d.h., ihrem richtig verstandenen Sinn und damit dem Willen Gottes selbst zu folgen: Der Sinn der Gebote Gottes, der Sinn seiner Weisungen besteht darin, dass Barmherzigkeit universell angewendet wahre Gerechtigkeit44  Mit Gerechtigkeit meine ich, was in der Hebräischen Bibel mit ›zedakah‹ und in Ägypten mit ›ma’at‹ gemeint und bin mir im Klaren darüber, dass das der Erklärung bedarf, weil ›ma’at‹ und ›zedakah‹ eben doch nicht ganz dasselbe sind – aber nicht hier und jetzt! ausblenden werden lässt, die Gott für die Welt will. Ich hoffe, dass das nachvollziehbar macht, warum und in welcher Weise Ethik und Gottesbeziehung bei Jesus von einander durchwirkt sind.

Das führte bei mir zu der Idee, mir vom rabbinischen Judentum den Begriff Halacha auszuborgen. Halacha meint dort das Handeln des Menschen in Verantwortung vor Gott in Übereinstimmung mit seinem Willen für die Welt, wie er ihn zuerst durch die Thora und dann die Propheten kund gemacht hat.55  Das hebräische Wort halacha kommt dem hebräischen Verb für »gehen« – es geht also darum, wie man seinen Lebensweg geht. »Lebenswandel« gibt es ja auch im Deutschen. ausblenden Wer in diesem Sinne richtig handelt – so die jüdische Auffassung –, ist in guter Gemeinschaft mit Gott und Menschen66  Wenn in der Bible von »gerecht/Gerechtigkeit« die Rede ist, bedeutet das, in guter Gemeinschaft mit Gott und Menschen zu sein. ausblenden und das unabhängig davon, was sie oder er gerade glauben.

Aus dieser Grundhaltung heraus scheint mir vor allem das Matthäus-Evangelium seine Geschichte von Jesus zu erzählen. Im ersten Drittel kommt dort dieses berühmte Stück der Weltliteratur vor, das wir Jesu Bergpredigt nennen. Inzwischen verstehe ich die Bergpredigt als seine Halacha, weil sie seine Lehre der Lebenspraxis ist, die mich auf einem außergewöhnlichen Weg außergewöhnlicher Gemeinschaft mit Gott und Menschen zu führen vermag – so ich sie denn tatsächlich ergreife. Die innere Logik seiner Halacha weckt in mir die Vorstellungskraft, dass Gemeinschaft mit Gott und Menschen in einer neuen Qualität als Frucht dieser Lebenspraxis wachsen werden. Das verdient die Bezeichnung ›Messias-Halacha‹ auch deshalb, weil aus meiner Sicht damit eine Kulturtransformation zum ›Heil der Welt‹ angestoßen wurde.

Auch der Form nach passt es: Es handelt sich um einen kompakten und zusammenhängenden Text in drei Kapiteln des Matthäus-Evangeliums, nämlich die Kapitel 5, 6 und 7 von insgesamt 28. Auch ihr Zusammenhang im Matthäus-Evangelium kennzeichnet die Bergpredigt ihrem Wesen nach als ›Messias-Halacha‹. Denn das Evangelium drückt unmissverständlich aus, dass die Bergpredigt Lehre Jesu und damit Teil einer Geschichte ist, die über »Rabbi Jesus von Nazareth lehrte…« weit hinausgeht. Matthäus stellt sie ausdrücklich als die Lehre des ›Gesalbten‹ und ›Sohnes Gottes‹ dar, der nicht nur gestorben, sondern auch Auferstanden ist.

Gleichzeitig ist diese Halacha Jesu Teil der Geschichte, die jedes der vier Evangelien im Neuen Testament auf seine Weise erzählt. In diesem großen Zusammenhang bringt die ›Messias-Halacha‹ die Perspektive ein, warum es so sein muss, dass das Tun des Gerechten (die Ethik) und das Beten zu Gott (Spiritualität) zu einer Lebenspraxis verschmelzen müssen, wenn man sich an Jesus hält.

Nicht »top down«, sondern »bottom upwards«

Und sie eröffnet noch etwas anderes: Statt von dem christlichen Bekenntnis irgendwann auch – wenn’s genehm ist –, zur Bergpredigt mit all ihren Herausforderungen und Zumutung zu kommen, möchte ich hier die entgegengesetzte Richtung vorschlagen: Ich lade dazu ein, die Lehre Jesu zur Lebenspraxis werden lassen und auf dem Weg zu entdecken, was es uns verstehen und schließlich glauben lässt in Bezug auf Jesus, den Messias, den Christus, den Menschen- und Gottessohn, in Bezug auf Jesus, den auferstandenen Herrn. Schließlich war das auch der Rhythmus, mit dem die Jünger Jesu seinem Schicksal und dem begegnen mussten, was es für sie bedeutete. Sie waren drei Jahre mit ihm unterwegs, bevor sie sich mit seinem Tod und dann mit seiner Auferstehung und der Bedeutung von beidem auseinandersetzen mussten. Ich sehe die Notwendigkeit, uns neu und bewusst auf diese Reihenfolge einzulassen, wenn wir herausfinden wollen, was christlicher Glaube heute bedeutet, was christliche Glaube heute alles bedeuten kann!

So möchte ich den Weg des Christus-Glaubens nicht »top down«, sondern »bottom upwards« gehen, also nicht von oben (den Bekenntnissen) nach unten (zur Praxis), sondern umgekehrt von unten nach oben. Dazu lade ich alle Menschen ein, egal ob sie sich selbst als Christen verstehen oder auch nicht. Ich möchte Menschen dazu gewinnen, eine Lebenspraxis nach der Halacha Jesu einzuüben, und zwar sowohl in ihren ethischen als auch ihren spirituellen Aspekten. Ich selbst glaube, dass sich Gott denen zeigen wird, die sich auf diesen Weg begeben. Und ich glaube, dass Gott selbst die Tür öffnen und einladen wird, einzutreten – in den Raum der Christus-Begegnung in all ihren möglichen Facetten.

Zum Schluss noch aufräumen

Jetzt bleibt noch die Notwendigkeit, ein begriffliches Wirrwarr aufzulösen: ›christós‹ ist griechisch und heißt »der Gesalbte« und war vor allem Ausdruck der Königswürde in Israel und Juda. ›Christus‹ ist die lateinische Form davon. Auf Hebräisch heißt der Gesalbte ›ma­schi­ach‹, wovon sich ›Messias‹ ableitet. Messias ist eine griechische Nachahmung dieses hebräischen Wortes. Der Messias ist also der Gesalbte, also der Christus. Eine wichtige Aufgabe der Evangelien im Neuen Testament, die ja die Geschichte Jesu erzählen, besteht darin, deutlich zu machen, dass Jesus ein dem Wesen nach sehr unerwarteter und überraschender Messias war und sein Königtum anders, als von den meisten seiner Zeitgenossen erhofft.

Wenn ich von ›Christus‹ quasi als Eigenname spreche, folge ich einer sehr frühen christlich-jüdischen Tradition, die damit das Bekenntnis verbindet, dass Jesus der Messias (der Christus) ist, der, weil er von Gott aus dem Tod auferweckt wurde, nun der auferstandene Herr ist und als der Sohn Gottes bestätigt wurde.

XP-Glaube

Was ist XP-Glaube? XP lässt heute wohl sofort an Expirience – also Erfahrung oder Erlebnis – denken. So ganz falsch ist das auch nicht, denn es geht ja auch um eine «faith expirience», eine Glaubenserfahrung. Doch hier stehen das X für den griechischen Buchstaben Chi und P für den griechischen Buchstaben Rho: Chi-Rho für CHRistus – oder wer es in griechischen Großbuchstaben mag – ΧΡΙΣΤΟΣ!

Liest man das Matthäus-Evangelium bis zum Schluss (Matthäus 28,16-20), wird dort der Zusammenhang zwischen Lebenspraxis nach der Lehre Jesu und Glaube an den auferstandenen Christus pointiert angesprochen: Wer nach der Messias-Halacha handelt, wird durch die Gegenwart des auferstandenen Messias beschenkt, so dass Christus-Gegenwart Teil ihres Wesens ist.Thilo Maußer

Ausblick auf geplante Artikel

Es werden Beiträge von mir folgen, die erste praktische Schritte mit der Messias-Halacha anregen.

Nächste Praxis-Folge
»Spring! – Für den Frieden arbeiten und dabei Heiliges finden« In der Bergpredigt redet Jesus von dem beharrlichen Suchen. Suchen wonach? Ich möchte einen Weg durch herausforderndes Terrain weisen, der aber Lust machen kann, mehr zu erleben – so jedenfalls meine Hoffnung.
Links und rechts geschaut für theologisch Interessierte
»Dietrich Bonhoeffer und das Bottom-Upwards-Prinzip« Dietrich Bonhoeffer hat mich die theologische Dringlichkeit und Notwendigkeit sowie die Möglichkeit sehen lassen, die Kunstgeschichte gab mir eine Anschauung und einen Kontext und Douglas Adams hat mir schließlich einen Namen dafür angeboten.