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AUSLEGUNGSSACHESuchen – Finden – Weitersuchen
Im griechischen gibt es bei den Verben sogenannte Aspekte. Sie sind tief und mit großer Selbstverständlichkeit in der Sprache verankert. Menschen, die mit Deutsch (oder Latein ;-) aufgewachsen sind, haben häufig einige Mühe, sich da hineinzudenken, weil unsere Verbformen ausschließlich Zeitstufen und keine Aspekte kennen.
Suchen – Finden – WeitersuchenMatthäus 7,7-8 als Beispiel für den linearen Aspekt des Präsens im Griechischen
Die Fremdheit im Umgang mit Aspekten mag ein Grund dafür sein, dass es vielen Bibelübersetzungen daran mangelt, die Farbigkeit, die neutestamentlichen Texten in ihrem griechischen Original zu eigen ist, auch ins Deutsche zu übertragen. Dennoch kann man das (natürlich) lernen. Vor allem ist wichtig, darum zu wissen und beim Übersetzen beharrlich zu fragen, was der jeweilige Aspekt im gegebenen Zusammenhang bedeutet. Hier ein kurzes Textbeispiel aus dem Matthäus-Evangelium für das griechische Präsens, das in seinen Indikativ-Formen zwar auch die Zeitstufe der Gegenwart hat, aber nie dabei seinen linearen Aspekt verliert. Das griechische Präsens drückt immer eine Dauer oder eine Wiederholung aus.
In den zwei folgenden Versen kommen Präsens- und Futurformen vor. Das Futur ist im griechischen das einzige Tempus, das keinen Aspekt hat und tatsächlich ausschließlich die Zeitstufe der Zukunft ausdrückt. Was in der Übersetzung Futur ist, ist es auch in der griechischen Vorlage.
Matthäus 7 (aus der Bergpredigt)
[ Jesus sagte: ]
7 Bittet beharrlich und ihr werdet zu Beschenkten
1 1 Das ist mein Weg hier, die Wiederholung bzw. Dauer im Deutschen auszudrücken: Wer sich als Beschenkt fühlt, fühlt das über einen Zeitraum (also eine Dauer). Darüber hinaus wird solch ein Mensch wohl auch sagen, wiederholt beschenkt zu werden. ausblenden
werden! Sucht mit Ausdauer
2 2 Im griechischen Text fällt das Wort »Ausdauer« nicht, die Sache erschließt sich aus dem Aspekt der Dauer bzw. Wiederholung: Eine Person, die dauerhaft/wiederholt sucht, tut das mit Ausdauer und langem Atem. ausblenden
und ihr werdet finden! Klopft immer wieder an, und es wird euch geöffnet werden! 8 Jeder, der beharrlich fragt, empfängt immer wieder und der, der mit Ausdauer sucht, entdeckt wieder und wieder erneut [etwas] und dem, der nicht müde wird anzuklopfen, wird geöffnet werden.
Ertrag für das Verständnis
Während Jesu Einladung, Gott als liebenden Vater mit unseren Bitten immer wieder zu behelligen, intuitiv richtig verstanden worden ist, birgt das Suchen und Finden eine Überraschung: Es geht nicht nur darum, beharrlich zu suchen, um schließlich das eine richtige Ergebnis zu finden. Es geht vielmehr um folgendes Muster: Suchen, etwas finden, weiter suchen und noch etwas anderes finden (und so weiter). Das bedeutet, die Entwicklungen des Königtum Gottes gedanklich wie emotional zu verfolgen und sich auf seine Dynamik und seine Veränderungen einzustellen. Als Veranschaulichung aus dem Munde Jesu kann das Gleichniswort vom Senfbaum (Mt 13,31-32) dienen, das beschreibt, wie aus einem Samenkorn, das noch kein Baum ist, schließlich eine Pflanze wird, die über viele Entwicklungsstufen und -phasen ganz neue Potenziale entfaltet (schließlich: Vögel nisten in den Zweigen). Der Sinn: Jetzt ist das Königtum Gottes noch ein Samenkorn, bald vielleicht schon ein Setzling, aber sei auf das gefasst, was daraus mit der Zeit alles werden wird! Schau immer wieder nach, verpasse keine Entwicklungsstufe und entdecke (finde!) ihre besonderen Möglichkeiten und was sie für dich bedeuten! Es geht also nicht unbedingt zuerst darum, Gott selbst zu finden, sondern seine Spuren in der Dynamik seiner sich entwickelnden Regentschaft – nicht nur im Himmel, sondern auch auf der Erde.
Das Gleichnis vom Schatz im Acker und vom Perlenkaufmann können als Illustrationen für beharrlich suchen, finden und generell anklopfen dienen. Auch sie finden sich im Matthäus-Evangelium, Kapitel 13 (Mt 13,44-46), und möchten zeigen, womit sich das Königtum Gottes vergleichen lässt.Thilo Maußer