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[ Post vom 7. Mai 2022 – 8.11 Uhr ]

RUBRIK
#STÜCKWERKEnneagram: The Next Generation

Menschen interessieren sich weiterhin für das Enneagramm. Für mich ist das Anlass, sich nach 30 Jahren Leben mit dem Enneagram auf die Perspektive einer neuen Generation einzulassen und viel Schönes dabei zu lernen.

The Next GenerationAuch beim Enneagramm gibt es sie

Jede und jeder von uns hat ein Gefühl für die eigene Persönlichkeit. Sie ist uns vertraut und wir wissen, wie es sich anfühlt, ich zu sein. In sehr ehrlichen Momenten sind wir zuweilen bereit, wiederkehrenden Muster zu sehen, die uns immer wieder in ebenfalls vertraute Fallen locken. Kann es eine Erlösung davon geben?

Es geht um die Sehnsucht, sich selbst zu finden, in glückenden Beziehungen zu anderen Menschen zu leben und nah bei Gott zu sein.

Richard Rohr, ein US-amerikanischer Franziskaner Pater, brachte 1989 zusammen mit Andreas Ebert, einem deutschen lutherischen Pfarrer, ein Buch über das Enneagramm heraus. Es handelte sich dabei um eine dezidiert christliche Adaption dieser Typenlehre, die neun verschiedene »Gesichter der Seele« kennt – »ennea« ist Griechisch und heißt »neun«. Dieses Buch erlebte Anfang der neunziger Jahre einen erheblichen Hype in der christlichen Kultur Deutschlands, so dass die jungen Erwachsenen dieser Zeit entweder vollkommen begeistert oder total entnervt davon waren. Ich gehörte zu den Begeisterten.

Aus der Begegnung mit diesem Buch vor 30 Jahren erwuchs für mich die Möglichkeit, das Gesicht meiner Seele klarer zu sehen, es besser zu verstehen und mich von Gott verändern zu lassen. Dieser Weg hat mich tiefer in Gott verwurzelt, meine Beziehung zu anderen Menschen geheilt und mich überhaupt beziehungsfähig gemacht. Parallel dazu entstand eine Großzügigkeit anderen gegenüber, wenn ich Zeuge ihres Scheiterns an sich selbst wurde (und noch werde).

Mitte der neunziger Jahre ebbte der Hype meiner Wahrnehmung nach ab und das Thema Enneagramm zog sich etwas zurück. Tot war es nie, denn das genannte Buch wurde weiterhin gedruckt und kann auch heute noch Im Buchhandel gekauft werden.11  Titel: Das Enneagramm. Die 9 Gesichter der Seele; Autoren: Richard Rohr, Andreas Ebert; ISBN: 3532623951; aktualisierte Neuauflage (Claudius Verlag GmbH) – als Taschenbuch: 20,00 € ausblenden

Für meine Frau und mich stellten sich die letzten 25 Jahre so dar, dass die Praxis mit dieser Typenlehre ein Thema zwischen uns und mit der Zeit dann auch mit unseren Kindern war. Außerhalb unseres Familienkreises kam das Gespräch kaum darauf. Das hat sich in jüngster Zeit verändert und diese Beobachtung ist meine Motivation für diesen Beitrag. Vielleicht gibt es ja einen neuen Kairos, trotz Krieg in der Ukraine und noch Pandemie überall, sich dem Gesicht seiner Seele zu stellen.

Vielleicht ist es ja auch für meine Generation an der Zeit, sich über 30 Jahre Erfahrung mit dem Enneagramm auszutauschen und darüber ins Gespräch zu kommen, was daraus für uns erwachsen ist.

Lieder über die neun Typen des Enneagramms

Unsere (erwachsenen) Töchter haben uns auf einem amerikanischen Künstler hingewiesen, der in Zusammenarbeit mit dem Enneagramm-Experten Chris Heuertz ein Lied zu jedem der neun Typen des Enneagramms gedichtet hat. Diese Lieder kann man sich auf YouTube anhören und auch den englischen Text mitlesen. Jedes von ihnen hat mich in einer schönen Weise überrascht. Sie haben eine tiefe Ehrlichkeit und finden Worte, die von Scheitern und Erlösung erzählen.

Der Künstler nennt sich »Sleeping At Last« [ http://www.sleepingatlast.com ].

Mit bürgerlichem Namen heißt er Ryan O‘Neal und macht auch einen Podcast (auf English, natürlich), in dem er die Ideen und Hintergründe seiner Lieder zur Sprache bringt. Die neun Podcast-Folgen zu den Enneagramm-Liedern beschreiben dabei auch die Wesenszüge der einzelnen Typen. (Folgen von Oktober 2017 bis Juni 2019)

Künstlerisch fällt mir in Bezug auf seine Enneagramm-Lieder auf, dass Ryan eine reiche poetische Sprache mit modernen Bildern findet. Jedes Lied ist im Rahmen seines musikalischen Stils sehr unterschiedlich. Manche haben Strophen, manchmal gibt es so etwas wie einen Refrain. Mal wird eine Geschichte erzählt oder linear ein Gedankengang entfaltet und bei anderen kreisen die Gedanken um das, was entdeckt werden soll – eben so, wie es zu jedem Typ passt. Die Unterschiedlichkeit der einzelnen Typen erfährt große Wertschätzung und vermittelt eine Idee von einer Vielfalt von Potentialen, die gemeinsam zu etwas Gutem und Schönem zusammenspielen können, wenn wir sie lassen.

Die Lieder von Ryan O‘Neil eröffnen die Möglichkeit, dem Enneagramm intuitiv zu begegnen. Man kann erst einmal kosten, ob es einem schmeckt. Genaueres kann man dann später noch herausfinden. Auch wenn man noch nicht versteht, worum es beim Enneagramm im Detail geht, eröffnen sie die Möglichkeit, in einem von ihnen sein Spiegelbild zu erkennen.

Aus jedem dieser neuen Lieder habe ich Abschnitte unterschiedlicher Länge übersetzt, denen ich zutraue, Resonanz hervorzurufen. Allerdings wird das nicht mal eben schnell nebenbei gelingen – die Liedzeilen verdienen (und brauchen) Muße und Konzentration und die Bereitschaft, ihnen zuzuhören.

Wer Resonanz verspürt, fühle sich eingeladen, diesen Weg weiter zu verfolgen. Auf Deutsch scheint mir das Buch von Richard Rohr und Andreas Ebert weiterhin die beste Wahl zu sein. Wer gut Englisch kann, sollte sich mit den Enneagramm-Büchern des bereits erwähnten Chris Heuertz befassen. Zu dessen Buch »Sacred Enneagram« hat Richard Rohr das Vorwort geschrieben.Thilo Maußer

Hier nun die übersetzten Schnipsel aus den Liedern von Ryan O’Neal:

Die EINS (Original: Ryan O’Neal; Übersetzung: Th. Maußer)

»… die Liste, von all den Dingen, die ich noch besser machen könnte, nimmt kein Ende in meinem Kopf – so, als ob ich die Gunst Gottes mit der Zeit verdienen könnte – oder wenigsten ein ›Gut gemacht!‹ von ihm.

Schließlich habe ich meine Lektion gelernt: Der Preis dieser sogenannten Perfektion ist einfach alles. Mein ganzes Leben habe ich mit der verzweifelten Suche zugebracht, die mich am Ende hat entdecken lassen, dass Gnade einfach nichts von mir verlangt.«

Die ZWEIOriginal: Ryan O’Neal; Übersetzung: Th. Maußer

»Ich möchte dich … in einer guten Weise lieben, eigentlich möchte ich aber herausfinden, wie es gehen könnte, selbst geliebt zu werden – irgendwie.«

Die DREIOriginal: Ryan O’Neal; Übersetzung: Th. Maußer

»Zum ersten Mal sehe ich, wie gebrochen ich in Wirklichkeit bin – aber dennoch ausgesprochen und erklärter Maßen wert, geliebt zu werden. Vielleicht habe ich endlich genug getan. Endlich sehe ich mich einmal nicht durch die Augen der anderen. Die Aufführung laugt mich aus, in der ich immer nur die Rolle von jedermann gespielt habe, aber niemals mich selbst. Jetzt möchte ich nur noch das, was wirklich ist – mein Herz darf fühlen, was es fühlen möchte. Gold, Silber oder Bronze haben hier keinen Wert mehr, da, wo Arbeit und Ruhe gleichermaßen wertgeschätzt werden.«

Die VIEROriginal: Ryan O’Neal; Übersetzung: Th. Maußer

»Vielleicht verstecke ich mich hinter Metaphern, vielleicht muss mein Herz erst brechen, bevor es etwas für sicher hält – eines Tages werde ich es für alle sichtbar an mir tragen: Das Belanglose zusammen mit der heiligen Einzigartigkeit. Aber ich habe mich in ein Gespenst verliebt und verliere meine Balance immer dann, wenn ich sie am dringendsten brauche.«

Die FÜNFOriginal: Ryan O’Neal; Übersetzung: Th. Maußer

»Ich möchte das Universum beobachten, wie es sich ausdehnt. Ich möchte es in kleine Teile herunterbrechen, die klein genug sind, sie zu verstehen – und in der Abgeschiedenheit meiner eigenen Sammlung alles wieder zusammenzusetzen. Es fühlt sich wie eine Out-of-Body-Experience an. Aber in diesem sicheren Abstand geht etwas verloren und so kommt mein Geist nicht zur Ruhe und ich kann nicht vermeiden, an einem Leben hinter einem Spiegel zu zweifeln, der mich selbst vor der Welt verbirgt und mich sie nur beobachten lässt.«

Die SECHSOriginal: Ryan O’Neal; Übersetzung: Th. Maußer

»Ich hatte einen sehr lebendigen Traum. Meine Füße verließen den festen Grund. Ich schwebte Richtung Himmel, konnte aber immer nur nach unten sehen. Mein Geist war schwer und zerfranste sich in Worst-Case-Szenarien, Notausgängen und der Furcht vor der Tiefe unter mir. Ich wachte auf, unendlich besorgt darüber, dass die Engel mich fallen lassen könnten, die mich da trugen.

O Gott, es ermüdet mich so, ständig in Angst zu sein. – Wie würde es sich anfühlen, diese Last abzulegen? – Wenn ich ehrlich bin, ich weiß nicht recht wie.«

Die SIEBENOriginal: Ryan O’Neal; Übersetzung: Th. Maußer

»Wenn ich an einem Ort stehen bleibe, fühlt es sich für mich wie Versinken an. So schaue ich also in die Zukunft und buche einen weiteren Flug. Wenn sich alles schwer und mühselig anfühlt, habe ich gelernt, trotzdem lässig und mit leichtem Gepäck unterwegs zu sein.

Aber eigentlich möchte ich hier sein, wirklich hier sein, um denen, die ich liebe, dabei zuzuschauen, wie sie aufblühen. Ich möchte Raum schaffen, um sie durch und durch und durch und durch zu lieben – auch in zähen und öden Zeiten. Tief in meinen Knochen spüre ich die Hoffnung, dass der morgige Tag wunderbar werden wird. Und ich bin bereit, Gott, ich bin bereit. Ich bin bereit, ruhelos und hungrig – aber ich bin bereit für das, was tatsächlich als nächstes kommen wird, was immer es ist.«

Die ACHTOriginal: Ryan O’Neal; Übersetzung: Th. Maußer

»Jetzt gilt: Du wirst nichts von dem zu Gesicht bekommen, was ich zu verlieren habe und nichts von dem, was ich verloren habe, um es zu beschützen.

Ich werde dich nicht an mich heranlassen, ich schwöre – niemals wieder – ich kann es mir nicht leisten, nein, ich weigere mich, zurückgewiesen zu werden.

Ich werde mir meine Knochen so lange brechen, bis sie besser werden. Ich will sie mir richtig brechen und mich lebendig fühlen dabei. Du liegst falsch, falsch, falsch – meine Heilung braucht mehr als nur Zeit.

Wenn ich Zerbrechliches sehe, Hilfloses und Kaputtes, dann sehe ich das Vertraute. Ich war klein, ich war schwach und unversehrt war ich aber auch, doch jetzt bin ich ein zerbrochener Spiegel…

Ich bleibe wachsam, aber ich werde weich und alles was ich will, ist, dir zu vertrauen. Zeige mir, wie ich mein Schwert niederlegen kann, lange genug, um dich an mich heran zu lassen. Hier bin ich, breche mich auf. Was möchtest du wissen? Ich bin nur ein Kind, das genug Angst hatte, um die Tür geschlossen zu halten und meine Unschuld zu begraben… ich bin stark, stark, stark genug, um dich herein zu lassen.«

Die Geschichte ist hier noch nicht zu Ende: Gelingt die persönliche Öffnung, wandelt sich eine Acht zu einem mächtigen Kämpfer für die Schwachen und Hilfsbedürftigen. Das erzählt das Lied dann auch noch – mit angemessener Dramatik.

Die NEUN Original: Ryan O’Neal; Übersetzung: Th. Maußer

»Es wirkt wie Empathie, alle Seiten zu verstehen, aber ich versuche lediglich mich selbst durch die Augen eines anderen zu finden.

Zeige mir doch bitte, was ich tun muss, um mein Herz ›neu zu starten‹. Wie kann ich mir selbst vergeben, so viel Zeit verloren zu haben?

Krempel die Ärmel hoch! Dann wird es eine Kettenreaktion in deinem Herzen geben – Muskelgedächtnis. Erinnere dich, wer du bist! Steh auf! Verliebe dich wieder und wieder und wieder. Führe Krieg gegen die Schwerkraft!«