RUBRIK
#STÜCKWERKDie Zeichen und ihre Interpretation – Umberto Eco
Dieser Artikel ist in der Brandenburg-Ausgabe der Märkischen Allgemeinen Zeitung vom 27. Februar 2016 in der Rubrik »Blickpunkt Kirche« erschienen. Anlass dafür war, dass Umberto Eco am 19. Februar 2016 verstorben war. Warum das für mich bedeutsam war, verrät mein Text von damals.
Hinweis: Die Rubrik „Blickpunkt Kirche“ bot Raum für kurze, zum Teil besinnliche Texte, die vor allem von Hauptamtlichen verschiedener christlicher Konfessionen verfasst wurden.
Die Zeichen und ihre InterpretationZur Erinnerung an Umberto Eco
Es löst wohl immer eine erhebliche Nachdenklichkeit aus, wenn man erfährt, dass einer seiner alten Lehrer verstorben ist. So ging es mir, als ich vor einer Woche im Radio die Nachricht von Umberto Ecos Tod hörte. Ich kannte ihn nicht persönlich. Leider. Aber durch seine Fachbücher über Zeichen und ihre Interpretation, die trotz aller Wissenschaftlichkeit immer auch mit einer reichlichen Prise Humor gewürzt sind, ist er mir zu einem lebendigen Gesprächspartner über viele Jahre hinweg geworden.
Mit Anfang 20 fing ich mit dem Predigen an und es wurde mir rasch zu einer existentiellen Frage, was ich eigentlich tue, wenn ich Bibeltexte auslege. Es war eine Frage, die mich über mein gesamtes Theologie-Studium hinweg begleitete, und Ecos Abhandlungen halfen mir dabei, die Dinge besser zu verstehen. Eco war nicht der Einzige, der dabei half. Aber es waren seine Überlegungen zur Rezeption von Kunst im Allgemeinen, die mich mich zu der Entscheidung geführt haben, dass ich als Prediger Menschen helfen möchte, biblischen Texten selbst zu begegnen, um sich ein eigenverantwortliches Verständnis erarbeiten zu können. So wie es keinen Sinn macht, sich stellvertretend für einen anderen ein Gemälde anzuschauen, ein Musikstück zu hören oder ein Gedicht zu lesen, kann ich nicht sinnvoll stellvertretend für andere Bibeltexte lesen. Wohl kann man all dies gemeinsam mit anderen tun und sich über seine Erlebnisse und Empfindungen dabei austauschen. Aber am Anfang steht immer das eigene Sehen, Hören oder eben Lesen.
Deshalb möchte ich einen Vorschlag machen, der sowohl mit Eco als auch mit mir zu tun hat. Wie wäre es, einmal das Lukas-Evangelium als Kunstwerk der Weltliteratur wahrzunehmen und nicht primär als Bibeltext mit allen seinen gewohnten kirchlichen Verwendungen. Dies kann mit einer Übersetzung gelingen, die sich einer frischen Sprache bedient (z.B. der Neuen Genfer Übersetzung oder der Übersetzung von Klaus Berger und Christiane Nord1 1 Klaus Berger, Christiane Nord: Das Neue Testament und frühchristliche Schriften, Frankfurt a. Main/Leipzig 2005 (Insel Verlag). ausblenden). Bei der Lektüre sollten die Überschriften und Kapiteleinteilungen ignoriert werden, damit nur die Erzählung selbst die Dynamik des Lesens bestimmt. Dabei versetze man sich in den antiken Adressaten Theophilus, der weder von Mittelalter noch von Reformation etwas wusste.
Und für alle, die das Buch gut fanden – es gibt es eine leicht zugängliche Fortsetzung vom selben Autor: Die Apostelgeschichte.
[ soweit der Artikel vom Februar 2016 mit kleinen Korrekturen und Anpassungen ]
Aus heutiger Sicht fallen mir zwei Dinge zu meinem Artikel auf:
1. Damals war ich etwas auf das eigenständige Lesen fixiert.2 2 Das hatte mit dem Stichwort Lese-Theorie zu tun. Denn der Gedanke, die Evangelien wie Literatur zu rezipieren, speiste sich aus der Lese-Theorie von Umberto Eco, wie er sie in »Lector in fabula« entfaltete. Es spricht aber nichts dagegen, diese Lese-Theorie auch auf das Wahrnehmen vorgelesener Texte anzuwenden. Warum ist das wichtig? Weil in der griechisch-römischen Antike der Zeit, in der die Evangelien entstanden (1. Jh. nach Chr.), nur etwa 10% der Bevölkerung lesen konnten und die, die es konnten, zogen es oft vor, sich vorlesen zu lassen. Die Evangelien wurden also sehr wahrscheinlich geschrieben, um weitaus öfter vor- als selbst gelesen zu werden. Dazu kam noch, dass Bücher teuer waren und die Idee Taschenbuch noch weit jenseits des Vorstellbaren lag. Heute leben wir mit Hörbüchern – was auch schön ist und vielleicht hilft, uns in die Welt von damals einzufühlen. ausblenden Heute würde ich dem Lesen eines biblischen Buchs das Hören gleichberechtigt zur Seite stellen.
2. Auf das Lukas-Evangelium bin ich nicht nur deshalb gekommen, weil es eine Fortsetzung gibt. Ich habe den Eindruck, dass dieses neutestamentliche Buch für uns Mitteleuropäer von heute einen intuitiven Einstieg bieten kann, um ein Gefühl für Jesus selbst und dafür zu entwickeln, was es bedeutet, mit ihm Unterwegs zu sein: Man versteht die Handlung, bemerkt aber durchaus, wo man etwas nicht richtig versteht (entweder hält man das für den Moment aus oder recherchiert es eben). Aber diese didaktische Seite ist nicht alles. In der Weise wie es Ethik mit Spiritualität3 3 Oder auch Nachfolge mit Gotteserfahrung. ausblenden verbindet, bietet es auch theologisch ein Ende an, dass wir zurzeit meiner Einschätzung nach ganz gut packen können. Thilo Maußer